Deutschland braucht 90.000 Freiwillige — und zwar sofort

Jayne Cravens (www.coyotecommunications.com) veröffentlichte diesen Beitrag zuerst am 27. Dez. 2010 in englischer Sprache auf ihrem Weblog. Für die deutsche Übersetzung danken wir Herrn Stefan Dietz.

Die Tage der Wehrpflicht – und der Zivis – sind vorbei ab 2011. Hunderte Wohlfahrtsorganisationen in ganz Deutschland, die auf die Arbeit der fast 100.000 einberufenen vertraut haben, sehen sich jetzt einer radikalen Verringerung ihrer Arbeitskräfte gegenüber. Viele Organisationen glauben nicht, daß sie ausreichend Freiwillige finden können um die Routinearbeit zu erledigen, die bis jetzt von Zivis erledigt wurde – spülen, Räume reinigen, Mahlzeiten zubereiten, usw.

Kann Deutschland 90.000 Freiwillige rekrutieren um die Zivis zu ersetzen? Ja – aber es verlangt ein fundamentales Umdenken wie deutsche Wohlfahrtsorganisationen die Rolle von Freiwilligen verstehen, und VIEL Übung und Unterstützung um dieses neue Denken auch umzusetzen.

Deutschland versteht bereits den Wert von Freiwilligen in Feuerwehren. Deutschland hat die meisten Freiwilligen Feuerwehrleute pro Einwohner aller Länder weltweit. In einer deutschen Gemeinde mit einer freiwilligen Feuerwehr muß nach 8 Minuten erste wirksame Hilfe durch die Feuerwehr geleistet werden. Freiwillige Feuerwehrleute erhalten die gleiche Ausbildung wie Berufsfeuerwehrleute, es gibt keine zwei Klassen-Ausbildung. Freiwillige bleiben für Jahre, nicht nur für Wochen oder Monate. Und freiwillige Feuerwehrleute bekämpfen Feuer, retten Menschenleben und schützen Sachwerte. Ja, sie machen auch Routinearbeit, aber sie bekämpfen auch Feuer. Ob sie es wissen oder nicht, Deutsche vertrauen bereits jetzt Freiwilligen mit Aufgaben von entscheidender Bedeutung; Deutsche müssen dies auf andere soziale Aufgaben ausdehnen.

Der Anfang: Deutsche Wohlfahrtsorganisationen müssen Freiwillige für mehr als nur Routinearbeiten einsetzen:

  • Sie müssen sie genauso ansehen wie Organisationen in den USA, deren Mitarbeiter hauptsächlich Freiwillige sind. Freiwillige übernehmen den Grossteil der Leistungen, die das Amerikanische Rote Kreuz und die `Girl Scouts of the USA` (Girl Guides) anbieten, so übernehmen sie nicht nur die Routinearbeit, sondern auch Führungspositionen. Viele ihrer Freiwilligen bleiben für Jahre und nicht nur für Wochen oder Monate, weil sie viel mehr tun als nur die Routinearbeit. Das Ehrenamt variiert in verschiedenen Kulturen in vielen Aspekten, aber eines bleibt immer gleich, Kultur zu Kultur, Land zu Land: Freiwillige wollen merken, dass ihre Arbeit wichtig ist, nicht nur nett, sondern notwendig.
  • Zusätzlich muss ein Ehrenamt mit Hochschulen und Universitäten verbunden werden, wo dies angemessen ist. So, dass Schüler und Studenten praktische Erfahrungen sammeln und anwenden können was sie in Unterricht lernen — “service learning.” Bestimme Ehrenämter sollten den Freiwilligen bei der Hochschule oder Universität angerechnet werden.

Um diese Transformation möglich zu machen, benötigt es intensive und fortgeschrittene Freiwilligen-Management-Schulungen für Wohlfahrtsorganisationen, für Universitäten und für Regierungsbehörden. Es kann auch bedeuten, Angestellte zu bezahlen um die Routinearbeiten zu erledigen, während Positionen mit mehr Verantwortung für Freiwillige reserviert werden – für viele Leute ist dies eine radikal Denkensweise.

Ich habe ein paar Schulungen in Deutschland geleitet und war erstaunt wie weit zurück dieses Land ist im Bezug auf Management von Freiwilligen“? :

  • Vertreter von Freiwilligen-Zentren erzählten mir, sie würden keine Online-Datenbank für verfügbare Ehrenämter benutzen, weil “dann wird niemand unsere Freiwilligen Zentrum besuchen.”
  • Leute, die mit Freiwilligen in verschiedenen Organisationen gearbeitet haben, erzählten mir, dass sie keine niedergeschriebenen Richtlinien und Handlungsweisen haben, und wenn ich sie fragte wie sie eine Auswahl ihrer Freiwilligen treffen, habe ich wieder und wieder gehört: “Ich merke ob jemand ein guter Freiwilliger sein wird, wenn ich nur mit ihm spreche. Ich habe das im Gefühl.”
  • Einwohner mit Migrationshintergrund sind weit unterrepräsentiert in der Belegschaft der meisten Wohlfahrtsorganisationen und gemeinnützigen Organisationen in Deutschland. Man kann z.B. in eine Gemeinde mit deutlichem türkischem Bevölkerungsanteil gehen, aber man wird keinen Freiwilligen dieser Bevölkerungsgruppe im örtlichen Freiwilligen Feuerwehrhaus antreffen. In meinen acht Jahren in Deutschland habe ich nie eine Wohlfahrtsorganisation oder gemeinnützige Organisation, die Freiwillige einbezieht, gefunden, die Anwerbung speziell auf Minderheiten zugeschnitten hatte – ja, ich habe danach gesucht.

Es ist eine herausfordernde Zeit für Deutschland, aber es ist auch eine einzigartige Gelegenheit für Deutschland, um die Einbeziehung von Freiwilligen zu steigern; und um seine Gesellschaft in einer positiven und nachhaltigen Weise zu transformieren. Deutschland könnte zu einem Vorbild in der restlichen EU werden! Aufgepasst Deutschland: Ich bin bereit zu helfen!

Lesen Sie mehr in diesem Bericht auf NPR (nur in Englisch).

Über Hannes Jähnert
Mein Name ist Hannes Jähnert. Ich bin freier Mitarbeiter und Dozent der Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland. Seit geraumer Zeit beschäftige ich mich mit dem Online-Volunteering – der Freiwilligenarbeit über das Internet – und der Bürgergesellschaft im Web 2.0. Auf meinem Blog „Die wunderbare Welt …“ beschäftige ich mich in regelmäßigen Beiträgen mit diesen Themen. Auf freiwilligenmanagement.de bin ich als Redakteur aktiv und spende hin und wieder eigene Blogbeiträge zum Thema.

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