Erster Engagementbericht der Bundesregierung

Erster Engagementbericht der Bundesregierung

Vor kurzem hat die Bundesregierung den ersten Engagementbericht der Öffentlichkeit vorgestellt. Damit erfüllt sie einen Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2009. Eine Kommission hat auf ca. 1300 Seiten neben einer Darstellung der Situation des freiwilligen, ehrenamtlichen Engagements in Deutschland auch Empfehlungen für Politik, Wirtschaft und die (Organisationen der) Bürgergesellschaft gegeben.

Hier finden Sie den Engagementbericht zum herunterladen:

Dazu gibt es auch eine Zusammenfassung in Form des Engagementmonitors unter

Sessionbericht: “Freiwilligenarbeit in Deutschland – Zukunft hat Geschichte”

Ein Bericht von Katrin Unger und Hannes Jähnert


Am 19. und 20. November 2010 fand das dritte Berliner SocialCamp statt. Auf diesem jährlich stattfindenden BarCamp treffen sich Internetspezialistinnen und -spezialisten mit Mitarbeitenden zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen um sich über den Einsatz neuer Medien in Non-Profit-Organisationen (NPO) auszutauschen und voneinander zu lernen. Nach drei Jahren ist das Berliner SocialCamp eine Institution, bei der es längst nicht mehr nur darum geht NPO-Mitarbeitende von den mannigfaltigen Möglichkeiten des (neuen) Internets zu überzeugen. Das SocialCamp ist mittlerweile auch ein Ort, an dem neue Entwicklungen im Dritten Sektor abseits des Einsatzes neuer Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten diskutiert werden.

Auch freiwilligenmanagement.de war beim diesjährigen SocialCamp in den Räumen der Humboldt Viadrina School of Governance vertreten und hat – wie es sich für echte BarCamperinnen und -Camper gehört – auch eine Session (mit)gestaltet. Gemeinsam mit Dr. Brigitte Reiser von Nonprofits-Vernetzt und Stefan Zollondz von Net-Polis – Sozialarbeit 2.0 schrieben wir die Geschichte und Zukunft der Freiwilligenarbeit in Deutschland auf den Plan. Ausgehend von einem historisch-philosophischen Enträtselungsversuch deutscher Freiwilligkeit sollte es vor allem um die Theorie und Praxis der Koproduktion im dritten Sektor gehen. Dankenswerter Weise führte Katrin Unger in dieser Doppelsession (2 x 45 Minuten) Protokoll, sodass wir hier nicht nur von den Inputs, sondern auch von der Diskussion berichten können.

Zu den Wurzeln der deutschen Freiwilligenarbeit

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, in der deutlich wurde, dass das SocialCamp nicht mehr nur der Ort für kleinere Initiativen und Start-Ups ist, sondern durchaus auch Vertreterinnen und Vertreter größerer Kaliber anzutreffen sind, startete Hannes Jähnert (freiwilligenmanagement.de) mit einem genealogischen Blick auf die Wurzeln der deutschen Freiwilligenarbeit. Dazu kurz eine Erläuterung:

Fragt man Expertinnen wie Laien nach den Wurzeln der Freiwilligenarbeit in Deutschland und Europa wird man sehr unterschiedliche Antworten bekommen. Die einen wähnen die Wurzeln deutscher Freiwilligenarbeit bei den12 Aposteln, die anderen in der APO der 1960er und 70er Jahre, die nächsten meinen die Wurzeln des deutschen Sonderwegs der Freiwilligenarbeit im bürgerlichen Ehrenamt der Armenfürsorge in Zeiten der Industrialisierung zu erkennen und wieder andere halten die Kriegsfreiwilligkeit für die Geburt der Freiwilligenarbeit. Das ist sicherlich auch alles richtig, doch hat sich die Freiwilligenarbeit in Deutschland (wie überall auf der Welt) über Jahrhunderte aus vielerlei Strängen entwickelt. Anstatt also von einer Wurzel der Freiwilligenarbeit auszugehen, ist es durchaus sinnvoll, mehrere Entwicklungslinien in der Geschichte zu verfolgen, die sich, wie die Wurzeln eines Baumes, im Jetzt zu einem Stamm zusammenfügen, den wir freiwilliges oder bürgerschaftliches Engagement bzw. Ehrenamt nennen.

Anhand zwei bedeutender Entwicklungsstränge deutscher Freiwilligenarbeit, dem Kriegsdienst und des bürgerlichen Ehrenamtes in Zeiten der Industrialisierung, zeigte Hannes Jähnert also zunächst, dass die Freiwilligenarbeit in Deutschland eher von der kommunitaristischen (republikanischen) Vorstellung einer Bürger- oder Zivilgesellschaft geprägt ist denn von einer liberalen. Auch wenn es heute nicht mehr als Freiwilligenarbeit wahrgenommen wird, finden sich im deutschen Recht – das tradierte Denkweisen erstaunlich lang zu konservieren im Stande ist – doch noch Rudimente von Kriegsfreiwilligkeit (freiwillig länger dienende Mannschaftsdienstgrade in der Bundeswehr) und altem Ehrenamt (in Gestalt des Schöffen / der Schöffin).

Nach dieser, zugegeben etwas provokanten, Einführung in die Geschichte deutscher Freiwilligenarbeit entbrannte augenblicklich eine Diskussion um die Frage, inwieweit sich ein Paradigmenwechsel vom kommunitaristischen zum liberalen Verständnis von Freiwilligenarbeit in Deutschland vollzogen hat bzw. aktuell vollzieht. Besonders durch die Demokratisierungsbemühungen der amerikanischen Besatzungsmacht nach dem zweiten Weltkrieg – so einige Teilnehmende – sollte das republikanische Verständnis von Bürgergesellschaft doch mittlerweile einem liberalen gewichen sein. Soziale Bewegungen, wie die APO oder die Frauenbewegung der 1960er und 70er Jahre würden das doch gut zeigen. Zudem – so andere Teilnehmende – haben sich die Motive der Engagierten geändert. Wurde das Engagement in früheren Tagen eher extrinsisch motiviert, schöpfen heutige Freiwillige ihre Motivation aus einem intrinsischen Antrieb, was wiederum als Beleg einer Liberalisierung ausgelegt wurde. Freiwilliges Engagement, so könnte man die Diskussion kurz zusammenfassen, ist heute eher von der Selbstorganisation der Bürgerinnen und Bürger, denn von der Übernahme quasi-staatlicher Aufgaben geprägt.

Theorie der Koproduktion im Dritten Sektor

Mit einem weniger retrospektiven denn vielmehr gegenwarts- und zukunftsbezogenen Blick referierte Dr. Brigitte Reiser über das Konzept der Koproduktion im gemeinnützigen Bereich. Trotz der Ambivalenz des Konzeptes – man denke an unintendierte Folgen wie die Drosselung staatlicher Leistungen – plädierte sie für eine Erweiterung der bisher vor allem auf die Produktion bzw. die Umsetzung von sozialen Dienstleistungen beschränkten Möglichkeiten. Freiwilliges Engagement sollte demnach neben Helfertum auch die stärkere Einbindung der engagierten Bürgerinnen und Bürger in Planungs- und Steuerungsprozesse bedeuten.

Eine vollständige Koproduktion – die also auch Gelegenheiten zur bürgerlichen Mitbestimmung eröffnet – so Reiser, würde bislang vor allem durch die Dominanz der Professionen und die Hierarchien im wohlfahrtsstaatlichen Bereich behindert. Aber auch von staatlicher Seite wird das (demokratische) Potenzial, das eine umfassendere Beteiligung von Engagierten bieten könnte, verkannt bzw. nicht gefördert.  Es gibt also noch einige Schwierigkeiten und damit auch notwendige Veränderungen um eine vollständige Koproduktion in Deutschland erreichen zu können.

Profitieren könnten dabei alle Seiten: NPO’s zum Beispiel durch die bessere Anbindung an die Zivilgesellschaft und die Verbesserung ihrer Dienstleistungen durch den Einbezug der Bürgerinnen und Bürger, welche ja nicht zuletzt auch Abnehmer der Dienste sind. Letztere wiederum könnten durch den (erneuten) Einfluss auf diese sozialen Dienstleistungen gesellschaftliche Gestaltungsräume zurückgewinnen.

Praxis der Koproduktion im Dritten Sektor

Ausgehend von dieser eher theoretischen Perspektive, setzte Stefan Zollondz die Session mit einem Beitrag über die Praxis von Koproduktion fort. Als konkretes Beispiel nutzte er ein Generationenhaus und Stadtteilzentrum der AWO in Bielefeld. Dabei widmete sich Zollondz sowohl den verschiedenen Standpunkten von NPO’s und der Politik zum Thema Koproduktion als auch deren (zukünftigen) Aufgaben um vollständige Koproduktion voranzutreiben. Auf staatlicher Seite müsse beispielsweise der Gedanke der Kosteneinsparungsmöglichkeiten durch Bürgerbeteiligung in den Hintergrund treten, ansonsten würde die Ausweitung der Koproduktion mit der Angst einhergehen, staatliche Mittel für soziale Dienste zu verlieren. NPO’s sollten sich auf der anderen Seite bemühen, das Konzept bekannter zu machen, denn der Mitbestimmungsgedanke müsse zunächst auch bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen.

Diskussion

In der anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Frage, von Gelingensfaktoren für eine umfassendere Einbindung von engagierten Bürgerinnen und Bürgern. So müssten vor allem Strukturen und Hierarchien innerhalb der Non-Profit-Organisationen und öffentlichen Einrichtungen für eine Mitwirkung von außen geöffnet werden und organisationsinterne Strategien zur Einbindung Freiwilliger erarbeitet werden.

Vor allem die Mitwirkung bei Planungsprozessen – so ein Einwand aus der Diskussionsrunde – setzt vor allem ein zuverlässiges, eher langfristiges Engagement von entsprechend qualifizierten Freiwilligen bzw. Ehrenamtlichen voraus. Von Bedeutung ist deshalb insbesondere der Aufbau eines Freiwilligenmanagements, das die Auswahl, Qualifizierung, aber auch die Einsatzplanung und –koordination von Engagierten ermöglicht. Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, dass Ehrenamtliche und Freiwillige nicht die Arbeit Hauptamtlicher ersetzen. Sie können der Arbeit vielmehr eine andere Qualität verleihen – Ressourcen könnten gebündelt werden; Professions- und Bürgerwissen können sich ergänzen.

Natürlich durfte auf dem SocialCamp die Frage nach den Potenzialen, die das Internet für Koproduktion bietet, nicht fehlen. Wenn der Trend zum eher sporadischen, kurzfrisitgen oder auch  Online- und Micro-Engagement geht, wie kann dann ein verlässliches Netzwerk von Freiwilligen aufgebaut werden? Als vorbildliches Beispiel wurde hier das Österreichische Rote Kreuz genannt, das sein Netzwerk über Facebook erfolgreich pflegt und hierüber beispielsweise Freiwillige für Textübersetzungen findet. Das Problem jedoch: Vor allem traditionelle Organisationen öffnen sich nur langsam und häufig nur gegen große Widerstände den neuen Möglichkeiten, die der Interneteinsatz eröffnen kann. Ein großer Nachteil gegenüber kleinen, agilen und innovativen Initiativen und Organisationen. Diese können dann schließlich auch eine stärkere Mitwirkung von Engagierten ermöglichen und die Macherinnen und Macher unter den Engagementwilligen gewinnen. Gefühlt – so ein Fazit der Runde – gewinnen sie deshalb auch den „Kampf“ um die „guten Freiwilligen“.

Eine weiterführende Diskussion zum Thema Förderung „echter Partizipation“ läuft in der aktuellen NPO-Blogparade.

Interviews zur Ausbildung Freiwilligenkoordination

Im September 2007 war eine Reporterin des Inforadio des RBB bei uns zu Gast in einem Basiskurs Freiwilligenkoordination. Hier sind nun die Interviews zu hören. Ein prima Einblick in unsere im ganzen deutschsprachigen Bereich (Deutschland, Österreich, Schweiz, Belgien) erfolgreichen Basiskurse Freiwilligenkoordination.

Unser Basiskurs vermittelt in einem 2,5 tägigen Workshopseminar alles was wichtig ist, um in einer Organisation, einer Einrichtung oder einem Projekt eine gute Freiwilligenarbeit zu planen, Aufgaben für Freiwillige zu entwickeln, Freiwillige zu gewinnen, zu integrieren und zu behalten.

Freiwilliges Engagement ist heutzutage nicht mehr voraussetzungslos. An einem Engagement Interessierte möchten heute gute Rahmenbedingungen vorfinden. Sie wollen eine zeitliche Begrenzung ihres Engagements, eine gute Begleitung durch eineN AnsprechpartnerIn, klare Regelungen zu Versicherungs- und Finanzfragen und klare Absprachen zu ihrem freiwilligen Engagement…

All dies muss eine Organisation vorbereiten und entsprechende Rahmenbedingungen entwickeln! Diese Managementaufgaben und die dazu gehörenden Methoden können einfach gelernt werden und müssen passend zur jeweiligen Organisation entwickelt werden.

Zur Volunteer-Classification

Dieser Beitrag ist eine von Hannes Jähnert leicht veränderte Fassung. Zuerst erschienen im Weblog “Die wunderbare Welt …

Auf der Suche nach einer empfehlenswerten Methode die ‘richtigen Freiwilligen’ in die ‘richtigen Engagements’ zu vermitteln, stieß ich schon vor einiger Zeit auf das  “Multi-Paradigm Modell of Volunteering” von Nancy McDuff (2006). Auf der Suche welche theoretische Rahmung diesem Konzept wohl zu Grunde liegen könnte, wurde ich auf die tiefenpsychologische Studie von Fritz Riemann aufmerksam.

Riemann untersucht in seinem Werk, das mittlerweile in der 36en Auflage erschienen ist, die “Grundformen der Angst” und unterscheidet dabei zwischen vier Persönlichkeitstypen. In seinen Ausführungen weist er auf mögliche Probleme hin, denen Menschen mit diesen Persönlichkeitstypen begegnen können, nennt aber auch positive Eigenschaften, die zu den jeweiligen Freiwilligentypen in McDuffs Modell passen.


Riemanns Beschreibung der “schizoiden Persönlichkeiten” (Riemann 2003. S. 20ff.), die sich vor allem durch Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, Mut, Autonomie usw. auszeichnen (ebd. S.57), passen sehr gut zur Beschreibung der “Entrepreneurial Volunteers” im Feld der Ich-Bezogenheit und der radikalen Veränderung.

Die Beschreibung der “depressiven Persönlichkeiten” (S. 59ff.) wiederum passen sehr gut zur Beschreibung des “Traditional Volunteer” im Feld der Stabilität und Objektivität. Die positiven Eigenschaften dieses Persönlichkeitstypus beschreibt Riemann jedenfalls ähnlich wie McDuff mit dem Satz:

“Er kann verzeihen, kann geduldig warten und Dinge reifen lassen und hat einen wenig ausgeprägten Egoismus” (S. 104)

Auch die von Riemann beschriebenen “zwanghaften Persönlichkeiten” (S. 105ff.) passen in das Volunteer Classification Modell von McDuff. Mit der Angst vor Veränderung, die als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt wird, richtet sich dieser Persönlichkeitstyp auf Stabilität und Subjektivität aus. Übertragen auf das McDuff’sche Modell schreibt Riemann dem “Serendipitous Volunteer” “Stabilität, Tragfähigkeit, Ausdauer und Pflichtgefühl” zu (S. 154).

Der letzte von Fritz Riemann beschriebene Persönlichkeitstyp ist der “hysterische” (S. 156ff.), der die Notwendigkeit als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt. Er bewegt sich damit im Feld der radikalen Veränderung und Objektivität — richtet also seine Bemühungen auf seine strukturelle Umgebung aus. Dem “Social-Change Volunteer” (dem ‘Weltverbesserer’) könnte man mit Riemann “Farbigkeit, Originalität, Lebendigkeit” und die Fähigkeit der Selbstdarstellung zuschreiben (S. 198).

Zusammenfassend lässt sich hier festhalten, dass die Persönlichkeitstypen aus Riemanns “Grundformen der Angst” recht gut in das “Multi-Paradigm Modell of Vollunteering” von Nacy McDuff passen. Auch wenn Mrs. McDuff Riemann nicht zitiert liefert er mit diesen Persönlichkeitstypen doch eine fundierte theoretische Grundlage für dieses Modell zur Freiwilligenklassifizierung, das natürlich auch ein wertvolles Werkzeug für die Personalisierung des Freiwilligenmanagements ist.

Gender Mainstreaming – Was ist das?

Dies ist die unveränderte Wiedergabe der gleichnamigen Broschüre der Bundesregierung. Die Broschüre “Gender Mainstreaming – Was ist das?” ist kostenlos beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter: www.bmfsfj.de zu bestellen

Inhaltsverzeichnis

1. Gender Mainstreaming – Was ist das?

2. Der unterschiedliche Alltag von Frauen und Männern

3. Hintergrund

4. Herkunft und Entwicklung auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene

5. Rechtliche und politische Voraussetzungen und Vorgaben

6. Unterschiede zwischen Gender Mainstreaming und Frauenpolitik

7. Vorteile und Effekte

8. Verfahren

9. Umsetzungsstrategie der Bundesregierung

1. Gender Mainstreaming – Was ist das?

Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.

Gender kommt aus dem Englischen und bezeichnet die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechtsrollen von Frauen und Männern. Diese sind – anders als das biologische Geschlecht – erlernt und damit auch veränderbar.

Mainstreaming (englisch für “Hauptstrom”) bedeutet, dass eine bestimmte inhaltliche Vorgabe, die bisher nicht das Handeln bestimmt hat, nun zum zentralen Bestandteil bei allen Entscheidungen und Prozessen gemacht wird.

Gender Mainstreaming ist damit ein Auftrag

an die Spitze einer Verwaltung, einer Organisation, eines Unternehmens und

an alle Beschäftigten, die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern

in der Struktur,

in der Gestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen,

in den Ergebnissen und Produkten,

in der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit,

in der Steuerung (Controlling)

von vornherein zu berücksichtigen, um das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern effektiv verwirklichen zu können.

2. Der unterschiedliche Alltag von Frauen und Männern

Die Zugehörigkeit zum weiblichen oder männlichen Geschlecht ist noch immer eine der prägendsten undbedeutsamsten gesellschaftlichen Unterscheidungen. Denn das Leben von Frauen und Männern weist in den meisten Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens große Unterschiede auf, ohne dass dies immer bewusst wäre.

Beispiel: Berufswahl und die Folgen

Mädchen und Jungen haben heute etwa gleich gute Schulabschlüsse. Doch bei der Berufswahl und in derAusbildung teilen sich die Welten: Obwohl es in Deutschland ca. 400 Ausbildungsberufe gibt, entscheiden sich die meisten Mädchen gerade mal zwischen zehn Berufen, insbesondere Bürokauffrau, Kauffrau im Einzelhandel, Arzthelferin, Friseurin und Krankenschwester. Jungen wählen viel selbstverständlicher unter einem breiteren Berufsspektrum aus, bevorzugen aber gewerblichtechnische Berufe. Auch an den Universitäten erfolgt die Studienwahl geschlechtsspezifisch. Junge Frauen bevorzugen Fächer wie Sprachen, Pädagogik und Psychologie, während junge Männer eher naturwissenschaftliche und technische Fächer wählen.

Diese Art der Berufswahl hat Auswirkungen auf Beschäftigungsmöglichkeiten, Verdienst, berufliches Fortkommen und auf das gesellschaftliche Ansehen.Oftmals werden hier bereits die Weichen für spätere “Armutskarrieren” gelegt: Mädchen und Frauen begreifen ihre Berufstätigkeit oft als “Zuverdienst” und sind eher bereit, ihren Beruf zugunsten der Familienarbeit einzuschränken, zu unterbrechen oder sogar ganz aufzugeben – mit entsprechenden Folgen für ihre Altersversorgung bzw. ihre Einkommensmöglichkeiten, wenn die Partnerschaft scheiternsollte. Gleichzeitig erhalten sie hierdurch die “Alleinkompetenz” für Haushalt, Beziehungspflegeund Kindererziehung, ohne dass dies aber ihr gesellschaftliches Ansehen steigern würde.

Für junge Männer stellt sich dagegen oft erst gar nicht die Frage, ob sie ihre Berufstätigkeit zugunsten der Familie einschränken, sie fühlen sich wie selbstverständlich für das Familieneinkommen zuständig. Ihr Bedürfnis nach gemeinsamer Zeit mit der Familie kommt fast zwangsläufig zu kurz, wenn sie ihr Leben überwiegend nach den beruflichen Anforderungen ausrichten. Teilzeitarbeit wird von der Gesellschaft eher Frauen zugeschrieben, für Männer wird sie weniger akzeptiert. All dies führt zu unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungswelten bei Männern und Frauen, die Auswirkungen auf fast alle gesellschaftlichen Bereiche haben.

Beispiel: Mobilität

Frauen und Männer sind unterschiedlich mobil: Öffentliche Verkehrsmittel werden in erster Linie von Frauen genutzt, Frauen gehen auch häufiger zu Fuß als Männer und sind eher mit kleinen Kindern unterwegs. Zudem fühlen sie sich häufiger als Männer bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in ihrer Sicherheit gefährdet.

Frauen verfügen für den alltäglichen Gebrauch wesentlich seltener über ein Auto als Männer.Gleichzeitig haben sie aufgrund der immer noch vorherrschenden geschlechtsspezifischen Rollenverteilung die Hauptverantwortung für die Koordinierung aller familiären Aktivitäten.Daraus ergeben sich geschlechtsspezifisch unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen z. B. an das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs.

Das unterschiedliche Mobilitätsverhalten lässt sich auch sehr schön in der Fläche verdeutlichen: Männer verkehren in der Regel ausschließlich zwischen Arbeitsplatz und Wohnung, während Frauen vielerlei Ziele zu jeweils unterschiedlichen Zeiten ansteuern müssen: Kindergarten, Schule, Geschäfte, Arztpraxen, Freizeiteinrichtungen, Wohnung und ggf. der eigene Arbeitsplatz.

Beispiel: Gesundheit

Frauen und Männer haben unterschiedliche gesundheitliche Probleme, zeigen ein unterschiedliches Körper- und Krankheitsbewusstsein und haben deshalb auch unterschiedliche Anforderungen an das Gesundheitssystem. Frauen gehen z. B. eher zum Arzt und nehmen ihre Gesundheit ernster als Männer, die einen Arztbesuch meist so weit wie möglich hinausschieben.

Schon bei Mädchen und Jungen fallen Unterschiede im Gesundheitsverhalten ins Auge: Jungen äußern sich kaum über Krankheitssymptome und verdrängen diesbezügliche Ängste, sie tendieren auch eher zu Extremsportarten und konsumieren unkritisch leistungssteigernde Mittel. Mädchen haben oft aufgrund der medialen Vorbilder ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper und neigen zu gesundheitsschädlichen Diäten. Darüber hinaus sind Mädchen öfter als Jungen Opfer sexueller Gewalt mit entsprechendenkörperlichen und seelischen Folgen.

Wichtige Unterschiede gibt es z. B. auch im Suchtverhalten: Frauen trinken und rauchen weniger, sind jedoch eher medikamentenabhängig und zeigen Essstörungen. Doch auch immer mehr junge Männer leiden darunter. Auf zehn oder zwölf magersüchtige Mädchen und Frauen kommt nach Schätzungen ein junger Mann. In den Fachkliniken verabschiedet man sich deshalb von dem Klischee, Magersuchtsei eine “Mädchenkrankheit”. Die Krankheitsverläufe sind oft schwerer, auch weil die Jungen später alsMädchen ärztliche Hilfe suchen. Familien, Lehrer und Lehrerinnen haben gerade erst ihren Blick für magersüchtige Mädchen geschärft und schieben Magerkeit bei Jungen eher auf das Wachstum. Gender Mainstreaming würde hier bedeuten, für Jungen eine eigene Strategie gegen Magersucht zu entwickeln.

Es gibt Krankheiten, die eher als Männerkrankheiten wahrgenommen werden, z. B. der Herzinfarkt. Das hat zur Folge, dass sich Ursachenforschung und die Erprobung von Therapieformen mehr an Männern orientierten, während der spezifische Krankheitsverlauf bei Frauen mit seinen zum Teil andersartigen Symptomen lange Zeit unerkannt blieb und damit auch die entsprechenden Heilmethoden nicht entwickelt wurden. Bei Frauen wurden Herzinfarkte deshalb oft nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, mit der Folge, dass Frauen öfter an Herzinfarkten starben als Männer, obwohl diese öfter daran erkranken.

Beispiel: Sport

Auch im Sport gibt es große Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Mädchen und Frauen bevorzugen Breiten und Freizeitsportarten wie Turnen, Reiten, Tennis und Tanzen, während Jungen und Männer eher Mannschafts- und Wettkampfsportarten wie Fußball, Handball, Basketball,Leichtathletik wählen. Neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass diese Vorlieben stark von derAusgestaltung und Ausschreibung des Angebots sowie den Trainingsmethoden und Leistungsstandards der jeweiligen Sportarten beeinflusst werden, die häufig eher auf Jungen und Männer zugeschnitten sind. So können Mädchen z. B. durch die Entwicklung von adäquaten Trainingsmethoden, die ihren Bedürfnissen entsprechen, für “Jungensportarten” wie Basketball gewonnen werden.

In den Medien finden sog. Männersportarten größere Beachtung. Dies hat Auswirkungen aufdie finanzielle Förderung, auf Sportstättenplanung, Stadienbau wie auch auf die Bezahlung der Profis im Leistungssport.

Obwohl der Frauenanteil in Sportvereinen mittlerweile fast 40 % der Mitglieder beträgt, sind in den Entscheidungsgremien überwiegend Männer vertreten, sowohl im ehrenamtlichen als auch im professionellen Bereich: Nur knapp 25 % der Funktionen in Sportvereinen werden von Frauen wahrgenommen; bei den Vereinsvorsitzenden beträgt der Frauenanteil nur knapp 9%; in Gremien undPräsidien steht es 3:1 für die Männer.

3. Hintergrund

Für alle, die mehr über Gender Mainstreaming wissen wollen, gibt es in diesem Kapitel weiterführende Informationen zur Herkunft und Entwicklung dieser neuen Strategie, insbesondere auch im internationalen Bereich. Wo ist vorgeschrieben, dass und wie Gender Mainstreaming angewandt werden muss? Und natürlich die Frage, die viele frauenpolitisch engagierte Menschen interessiert: Wird Frauenpolitik durch Gender Mainstreaming überflüssig? Zum Schluss werden die Vorteile und Effekte aufgezeigt, die durch die Anwendung von Gender Mainstreaming erreicht werden können.

4. Herkunft und Entwicklung auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene

1985 Gender Mainstreaming wird auf der 3. Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationenin Nairobi als politische Strategie vorgestellt.

1994 Durch die Einsetzung eines Lenkungsausschusses für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern(CDEG), der für Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung zuständig und direkt beim Ministerkomitee angesiedelt ist, wird das Gender-Mainstreaming-Konzept auf der Ebene des Europarats aufgegriffen.

1994 In Schweden wird begonnen, Gender Mainstreaming auf nationaler, regionaler und kommunaler Politikebene umzusetzen. Gleichstellung wird nicht nur als Angelegenheit der Gleichstellungsministerinverstanden, sondern jedes Ministerium hat in seinem Zuständigkeitsbereich die Verantwortung dafür, dass Gleichstellungsaspekte alle Bereiche der Politik durchdringen. Gender Mainstreaming wird seitdem als Hauptmethode der schwedischen Gleichstellungspolitik begriffen.

1995 Auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking wird das Prinzip in der verabschiedeten Arbeitsplattform verankert. Hieraus ergibt sich für alle Mitgliedstaaten die Verpflichtung, in den jeweiligen nationalen Strategien zur Umsetzung der 4. VN-Weltfrauenkonferenz ein Konzept zur Implementierung von Gender Mainstreaming zu entwickeln.

1995 Für die Arbeit der Vereinten Nationen ist die Beachtung und Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes seit der 4. Weltfrauenkonferenz, den gemeinsamen Schlussfolgerungen des Wirtschafts- und Sozialrates der VN “gender perspective in all policies and programs in the UN system” und der darauf basierenden Resolution der Generalversammlung 52/100 bezüglich aller Maßnahmen und Programme verpflichtend.

1996 Die Europäische Union verpflichtet sich in der “Mitteilung der Europäischen Kommission zurEinbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft” dem neuen Ansatz des Gender Mainstreaming.

1996 In Norwegen wird die Staatssekretärsebene der Ministerien zuständig für die Durchführung des Gender Mainstreaming. Zur Förderung und Kontrolle des Prozesses wird 1997 der “Ausschuss für Staatssekretäre” eingerichtet. Jedes Ministerium ist in seinem Bereich für die Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Konzeptes verantwortlich.

1997 Das Europäische Parlament empfiehlt in seiner Entschließung vom September 1997 als weitere Umsetzungsschritte die Schaffung geeigneter Koordinierungsstrukturen, die Erarbeitung von Bewertungskriterien, eine Überprüfung aller Legislativvorschläge auf die geschlechtsspezifische Dimension hin (Gleichstellungsprüfung), die Fortsetzung der Doppelstrategie (Gender Mainstreaming plus spezielle Frauenfördermaßnahmen) und die Ausrichtung von Datenerhebungen und Statistiken nach geschlechtsspezifischen Kriterien.

1998 Veröffentlichung des ersten Fortschrittsberichts der Europäischen Kommission zu Gender Mainstreaming.

1998 In den Niederlanden wird auf Regierungsebene ein Aktionsplan zum Gender Mainstreaming erarbeitet, der von 1999 bis 2002 umgesetzt werden soll. Alle Ressorts benennen jeweils mindestens drei konkrete Maßnahmen für die Umsetzung von Gender Mainstreaming.

1998 In Finnland beschließt die Regierung eine 3-jährige Erprobungsphase von 1998 bis 2001 zur Einführung von Gender Mainstreaming.

1998 Von nun an werden jährlich die beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU festgelegt. Sie basieren auf den folgenden vier Säulen:

1. Verbesserung der Beschäftigungschancen

2. Entwicklung des Unternehmergeistes

3. Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer

4. Stärkung der Maßnahmen für Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt

1998 Die ÖTV beschließt, Gender Mainstreaming in der Tarifarbeit umzusetzen, und setzt eineGenderbeauftragte im Tarifsekretariat ein.

1998 Die Landesregierung Niedersachsen beschließt, Geschlechterpolitik in alle Ressorts der Landesregierung zu integrieren. Das gesamte Kabinett wird umfassend zu Gender Mainstreaming geschult.

1998 Die Landesregierung Sachsen-Anhalt beschließt, bei jeder Kabinettsvorlage zu prüfen, ob Frauen anders oder in stärkerem Maße als Männer betroffen sind. Jedes Ministerium führt diese Prüfung eigenverantwortlich durch.

1999 Verankerung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes in den Beschäftigungspolitischen Leitliniender EU. Das bedeutet: Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen werden nicht nur im Rahmen der Säule 4 begriffen, sondern als Querschnittsaufgabe auch für die drei anderen Säulen definiert.

1999 Mit In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrages (EG-Vertrag) am 1. Mai wird der Gender-Mainstreaming-Ansatz zum ersten Mal in rechtlich verbindlicher Form festgeschrieben. Art. 2 und Art. 3 Absatz 2 des EG-Vertrags verpflichten die Mitgliedstaaten zu einer aktiven Gleichstellungspolitikim Sinne des Gender Mainstreaming.

1999 Das Bundeskabinett erkennt mit Beschluss vom 23. 6. 1999 die Gleichstellung von Frauen und Männernals durchgängiges Leitprinzip der Bundesregierung an und bestimmt, diese Aufgabe mittels der Strategie des Gender Mainstreaming zu fördern.

2000 Beginn des Programms der Bundesregierung “Moderner Staat – Moderne Verwaltung” , das Gender Mainstreaming als einen der Leitgedanken aufgenommen hat.

2000 In Niedersachsen wird die Fortbildungsreihe “Wie bringe ich Gender Mainstreaming ins Tagesgeschäft?” begonnen. Gleichzeitig wird eine Planungsgruppe zur Umsetzung von Gender Mainstreaming eingesetzt.

2000 Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt beschließt ein umfangreiches Konzept, wie Gender Mainstreaming in der Verwaltung praktiziert werden kann.

2000 Die Gemeinsame Geschäftsordnung (GGO) der Bundesministerien wird am 26. 7. 2000 novelliert. Der neue § 2 GGO lautet: “Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist durchgängiges Leitprinzip und soll bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesregierung in ihren Bereichen gefördert werden (Gender Mainstreaming).”

2000 Konstituierung der interministeriellen Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming der Bundesregierung am 24. 5. 2000 zur Implementierung des Gender Mainstreaming in die laufende Arbeit aller Ressorts. Die Leitung liegt beim Staatssekretär des Bundesfrauenministeriums.

2000 Die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern beschließen, Gender Mainstreaming in der Landesverwaltung umzusetzen.

2001 Alle Ministerien der Bundesregierung verpflichten sich, ihre Mitarbeiter/innen zu Gender Mainstreaming zu schulen und mindestens ein Pilotprojekt zur Erprobung von Gender Mainstreaming durchzuführen.

2001 Als erste Gewerkschaft verankert ver.di Gender Mainstreaming als Aufgabe in der Satzung (§ 5) und setzt ein Mann-Frau-Team als Genderbeauftragte beim Bundesvorstand ein.

2001 Einweihung des Gender-Institutes GISA in Sachsen-Anhalt

2001 In Hamburg wird ein Senatsbeschluss zur “Einführung und Umsetzung der Strategie des Gender Mainstreaming in die hamburgische Landespolitik” verabschiedet.

2002 Der Senat der Freien Hansestadt Bremen beschließt ein Konzept zur Umsetzung von Gender Mainstreaming in allen Bereichen der Politik.

5. Rechtliche und politische Voraussetzungen und Vorgaben

Rechtliche Vorgaben

Amsterdamer Vertrag

Verpflichtungen zur Umsetzung einer effektiven Gleichstellungspolitik im Sinne des Gender Mainstreaming ergeben sich sowohl aus internationalem Recht als auch aus unserem nationalen Verfassungsrecht. Auf EU-Ebene wurde der Gender-Mainstreaming-Ansatz zum ersten Mal im Amsterdamer Vertrag, der am 1. Mai 1999 in Kraft trat, rechtlich verbindlich festgeschrieben. Art. 2 und Art. 3 Absatz 2 dieses EG-Vertrags verpflichten die Mitgliedstaaten zu einer aktiven Gleichstellungspolitik im Sinne des Gender Mainstreaming.

Art. 2 des Amsterdamer Vertrages:

“Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft (…) die Gleichstellung von Männern und Frauen (…) zu fördern.”

Art. 3 des Amsterdamer Vertrages:

“Bei allen in diesem Artikel genannten Tätigkeiten wirkt die Gemeinschaft darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern.”

Grundgesetz

Auch aus dem deutschen Verfassungsrecht ergibt sich eine Verpflichtung des Staates für eine aktive und wirkungsvolle Gleichstellungspolitik. Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz (GG) bestimmt nach der Änderung von 1994 nicht nur: “Männer und Frauen sind gleichberechtigt” (Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG), sondern nimmt den Staat nunmehr ausdrücklich in die Pflicht, “die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern” zu fördern und “auf die Beseitigung bestehender Nachteile” hinzuwirken (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG).

Bundesgesetze

Daneben findet sich die Verpflichtung zur Umsetzung und Beachtung von Gleichstellung im Sinne des Gender Mainstreaming auch in Bundesgesetzen wie dem Sozialgesetzbuch VIII

- § 9 Nr. 3 SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe: Bei der Aufgabenerfüllung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe müssen die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen berücksichtigt, Benachteiligungen abgebaut und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen gefördert werden -

und dem Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz für die Bundesverwaltung

- § 2 BGleiG: Alle Beschäftigten in der Bundesverwaltung, insbesondere Führungskräfte, müssen die Gleichstellung von Frauen und Männern fördern; diese Aufgabe ist durchgängiges Leitprinzip in allen Aufgabenbereichen.

Auch in der Änderung des SGB III durch das sog. Job-AQTIVGesetz ist durch § 1 Abs. 1 S. 3 klargestellt, dass in der Arbeitsförderung die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Prinzip zu verfolgen ist. Hinzuwirken ist auf die Überwindung des geschlechtsspezifischen Ausbildungs-und Arbeitsmarktes, um die Chancen beider Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern (§ 8 Abs. 1).

Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien

Die Novellierung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien durch Kabinettsbeschluss vom 26. Juli 2000 ist ein weiterer Schritt zur Verankerung von Gender Mainstreaming. Der neue § 2 GGO stellt alle Ressorts der Bundesregierung vor die Aufgabe, den Gender-Mainstreaming-Ansatz bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesregierung zu berücksichtigen.

Diese europarechtlichen und nationalen Regelungen bedeuten, dass Gleichstellungspolitik und Gender Mainstreaming rechtlich – und nicht nur politisch! – geboten sind. Das heißt, sie verlieren auch bei einem Wechsel an der Spitze von Verwaltung und Politik nicht ihre Gültigkeit.

Politische Vorgaben

Mit dem Kabinettsbeschluss der Bundesregierung vom 23. Juni 1999 wurde eine wichtige politische Voraussetzung für die Einführung von Gender Mainstreaming geschaffen. In dem Beschluss erkennt das Bundeskabinett die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip der Bundesregierung an und bestimmt, diese Aufgabe mittels der Strategie des Gender Mainstreaming zu fördern.

Auch in verschiedenen Bundesländern wurden Kabinettsbeschlüsse zur konsequenten Umsetzung von Gender Mainstreaming in Landespolitik und -verwaltung getroffen, so z. B. in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg.

6. Unterschiede zwischen Gender Mainstreaming und Frauenpolitik

Gender Mainstreaming und Frauenpolitik werden beide eingesetzt, um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Gender Mainstreaming ist dabei die Strategie, um geschlechtsspezifische Ausgangspositionen und Folgen einer Maßnahme zu bestimmen. Werden hierbei Benachteiligungen von Frauen oder von Männern festgestellt, sind Frauenpolitik bzw. Männerpolitik die einzusetzenden Instrumente, um der jeweiligen Benachteiligung entgegenzuwirken.

Frauenpolitik:

- Frauenförderung wird von speziellen organisatorischen Einheiten betrieben, die für Gleichstellungspolitik zuständig sind, etwa von der Frauenbeauftragten in einem Unternehmen oder in einer Behörde.

- Der Ansatzpunkt für Frauenförderpolitik ist eine konkrete Situation, in der die Benachteiligung von Frauen unmittelbar zum Vorschein kommt.

- Es kann rasch und zielorientiert gehandelt werden; die jeweilige Maßnahme beschränkt sich jedoch auf spezifische Problemstellungen.

Gender Mainstreaming:

- Demgegenüber setzt Gender Mainstreaming auf die Beteiligung aller an einer Entscheidung beteiligten Personen. Es liegt nun in der Verantwortung der jeweils Zuständigen – und nicht mehr ausschließlich in der Verantwortung der Frauenpolitik -, Gleichstellung zwischen Männern und Frauen herzustellen.

- Gender Mainstreaming setzt demgegenüber bei allen politischen Entscheidungen an, auch bei denen, die auf den ersten Blick keinen geschlechtsspezifischen Problemgehalt haben.

- Gender Mainstreaming dagegen setzt als Strategie grundlegender und breiter an. Die Umsetzung dauert damit länger; der Ansatz beinhaltet jedoch das Potenzial für eine nachhaltige Veränderung bei allen Akteuren und Akteurinnen und bei allen politischen Prozessen.

Unterschiede zwischen der institutionalisierten Frauenpolitik und dem Gender-Mainstreaming-Ansatz: Durch die Strategie des Gender Mainstreaming werden die unterschiedlichen Realitäten von Frauen und Männern bewusst und deutlich gemacht; die Beachtung der Geschlechterperspektive wird zu einem wesentlichen Entscheidungskriterium für die Geeignetheit und Qualität der Maßnahme.

Selbstverständlich kann Gender Mainstreaming auch zu Maßnahmen für beide Geschlechter führen, das heißt, Männer und Frauen können gleichermaßen durch gleichzeitige, aber unterschiedliche Maßnahmen profitieren. Ein Beispiel hierfür sind unterschiedliche Präventionsmaßnahmen und Anspracheformen im Gesundheitsbereich für Frauen und Männer.

Gender Mainstreaming führt jedoch dann zu gezielter Frauen- oder Männerförderungspolitik, wenn sich aus der Analyse ergibt, dass vor allem geschlechtsspezifische Benachteiligungen zu Lasten eines Geschlechts abzubauen sind.

Der Gender-Mainstreaming-Prozess macht institutionelle Frauenpolitik keinesfalls überflüssig, da die vorliegenden Analysen gezeigt haben, dass Frauen in weiten Bereichen noch benachteiligt sind. Das Instrument der Frauenförderung wird daher noch lange angewandt werden müssen! Neu ist, dass der Gender-Mainstreaming-Ansatz auch die Situation der Männer in unserer Gesellschaft mit in die Analyse einbezieht.

7. Vorteile und Effekte

Warum Gleichstellung?

Die Gleichbehandlung der Geschlechter und das Recht auf gleiche Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen sind grundlegende Menschenrechte.

Die Gleichstellung von Frauen und Männern vergrößert die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft, die zu annähernd gleichen Teilen aus Frauen und Männern besteht.

Die gleiche Teilnahme und Teilhabe von Frauen und Männern in allen Bereichen der Gesellschaft bedeutet die volle Verwirklichung von Demokratie.

Die gleiche Einbeziehung von Frauen und Männern in die Politik führt zu einer anderen, usgewogeneren Politik und gesellschaftlichen Entwicklung.

Arbeit, Kreativität und Entscheidungsmacht auch von Frauen sind für die Wettbewerbsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft unverzichtbar.

Gleichstellung bedeutet in vielfacher Hinsicht für Frauen und Männer eine höhere Lebensqualität und mehr Entscheidungsfreiheit für die eigene Lebensgestaltung und zeigt für nachfolgende Generationen neue Lebensperspektiven auf.

Warum Gender Mainstreaming?

Durch die Ausrichtung an den Lebensrealitäten beider Geschlechter wird die Wirksamkeit von politischen und verwaltungstechnischen Maßnahmen erhöht.

Der Abbau von Diskriminierung vermeidet Kosten, weil weniger nachträgliche Korrekturmaßnahmen nötig sind.

Die Innovationspotenziale beider Geschlechter werden angesprochen und aktiviert.

Dadurch steht eine größere Gruppe von qualifiziertem Personal zur Verfügung.

Die Qualität von Dienstleistungen wird durch geschlechterspezifische Pass- und Zielgenauigkeit erhöht.

Das Image von Politik und Verwaltung wird verbessert.

Die Beschäftigten sind zufriedener und stärker motiviert.

Starre und unproduktive Arbeitsstrukturen und -kulturen können durch Aufhebung von Geschlechtermonokulturen und durch die gleichmäßige Repräsentanz von Frauen und Männern schneller und besser überwunden werden.

8. Verfahren

Entscheidungsprozesse nach dem Prinzip des Gender Mainstreaming kommen prinzipiell immer dann in Betracht, wenn ein Vorhaben (Gesetze, Programme, Forschungsprojekte, Fördermaßnahmen, verwaltungsinterne Maßnahmen wie beispielsweise Personalentwicklung etc.) Menschen, d. h. Frauen und Männer, betrifft. Entscheidend ist, dass dieser Prüfprozess systematisch erfolgt. Es ist eine gemeinsame Verständigung darüber notwendig, in welchen Phasen oder Schritten sich ein solcher Prozess vollziehen und auf welche Weise das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern in jeder Phase einbezogen werden soll. Gender Mainstreaming verlangt daher von den umsetzungsverantwortlichen Kreativität, neue spezielle Methoden und Instrumente zu entwickeln und zu testen. Denn es gibt nicht die eine, für alle Sachgebiete und Fragen passende Gender-Mainstreaming-Methode.

Die bisher entwickelten und erfolgreich erprobten Instrumente lassen sich in drei Gruppen einteilen:

- analytische Instrumente wie z. B. geschlechterdifferenzierte Statistiken und Analysen, Checklisten, Gleichstellungsprüfungen;

- Bildungsinstrumente wie Schulungen und Gender-Trainings;

- Konsultationsinstrumente wie die Einrichtung von Lenkungs- und Steuerungsgruppen, Befragungen, Anhörungen etc.

Weitere Beispiele für Verfahren, Methoden und Instrumente finden Sie über die Literatur- und Linkliste.

(Die Beispieltabellen der Broschüre können aus technischen Gründen hier nicht wiedergegeben werden, sie sind jedoch auch auf der Onlineausgabe unter : www.bmfsfj.de/Politikbereiche/Gleichstellung/gender-mainstreaming.html zu finden.)

9. Umsetzungsstrategie der Bundesregierung

Konzept und Umsetzungsstand

Mit Kabinettsbeschluss vom 23. Juni 1999 hat die Bundesregierung die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip ihres Handelns anerkannt und beschlossen, diese Aufgabe mittels der Strategie des Gender Mainstreaming zu fördern. In der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien ist dementsprechend die Verpflichtung aller Ressorts festgelegt, den Mainstreaming-Ansatz bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesregierung zu beachten (§ 2 GGO). Hintergrund ist die rechtliche Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten aus dem Amsterdamer Vertrag. Artikel 2 und Artikel 3 Abs. 2 EG-Vertrag verpflichten alle Mitgliedsländer zu einer aktiven und integrierten Gleichstellungspolitik im Sinne des Gender Mainstreaming. Auch Art. 3 Abs. 2 unseres Grundgesetzes stellt eine wichtige Rechtsgrundlage für eine aktive Gleichstellungspolitik dar. Der Staat muss sich aktiv um die “tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung” und um die “Beseitigung bestehender Nachteile” bemühen (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG).

An dieser Stelle setzt die interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) “Gender Mainstreaming” der Bundesregierung an. Sie wurde infolge eines Kabinettsbeschlusses im Mai 2000 unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ins Leben gerufen und erprobt, wie die rechtlichen und politischen Vorgaben mit Leben gefüllt und in der Praxis umgesetzt werden können. Beteiligt sind alle Ressorts der Bundesregierung; Mitglieder der Arbeitsgruppe sind Abteilungsleitungen der Ministerien.

Jedes Ressort ist selbst für die Einführung und Umsetzung von Gender Mainstreaming verantwortlich. Daher haben sich alle Ressorts verpflichtet:

ihre Beschäftigten so fortzubilden, dass sie Gender Mainstreaming in ihrem Fachbereich anwenden können, sowie

mindestens ein Modellprojekt zu bestimmen, mit dem Gender Mainstreaming in der Praxis erstmals umgesetzt wird.

Alle Ministerien haben 2001 mit der Umsetzung von Gender Mainstreaming anhand ihres oder ihrer Pilotprojekte begonnen. Die Pilotprojekte beinhalten die ganze Bandbreite von internen und externen politischadministrativen Entscheidungen. Bei allen Umsetzungen wird es darum gehen, aus den Ergebnissen übertragbare Vorgehensweisen für ein routinemäßiges, gendersensibles Verfahren für alle Arbeitsvorgänge der Verwaltung zu gewinnen – für die Erstellung und Folgenabschätzung von Gesetzen, für die Entscheidung über Förderungen, Forschungsvorhaben, Grundsatzprogramme und politische Leitlinien sowie für verwaltungsinterne Maßnahmen wie Personalentwicklung, Beurteilungsrichtlinien, Organisationsentscheidungen u. Ä.

Langfristiges Ziel der IMA ist die Erarbeitung von Kriterienkatalogen und Checklisten für alle Arten des politisch-administrativen Handelns. Entstehen soll so als verbindliche Vorgabe u. a. ein Gleichstellungs- Handbuch mit Arbeitshilfen und Prüfvorlagen zur praktischen Umsetzung von Gender Mainstreaming für die gesamte Bundesverwaltung, das modellhaft für andere Organisationen sein kann.

Eine wesentliche Rolle bei der Implementierung von Gender Mainstreaming spielt die durch das BMFSFJ finanzierte wissenschaftliche Begleitung. Die wissenschaftliche Begleitung besteht aus einem interdisziplinären Expertinnenteam, das im Februar 2001 die Arbeit aufgenommen hat. Durch die Begleitung sollen die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse gesichert, ausgewertet und für die weitere Entwicklung und Implementierung von Gender Mainstreaming auch auf anderen Ebenen und für andere Organisationen nutzbar gemacht werden. Die wissenschaftliche Begleitung geht dabei auch ungewöhnliche Wege und arbeitet prozess- und bedürfnisorientiert. Sie steht den Ressorts bei derUmsetzung und Erprobung für grundsätzliche Fragen zur Verfügung, arbeitet aktiv mit den Projektverantwortlichen in den Häusern und gibt der interministeriellen Arbeitsgruppe kontinuierliche Rückmeldungen. So können positive Entwicklungen und Erfahrungen verstärkt und weitergegeben werden; schwierige Situationen und Umsetzungshindernisse können thematisiert und gegengesteuertwerden. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung und ein erster Erfahrungsbericht der interministeriellen Arbeitsgruppe und Pilotprojekte sollen in Buch- oder Broschürenform veröffentlicht werden. Geplant sind auch Veranstaltungen zur Vorstellung und Diskussion von Zwischenergebnissen und ersten Erfahrungen.

Gender Mainstreaming ist eng mit der Verwaltungsmodernisierung verknüpft und ist deshalb integraler Bestandteil des Regierungsprogramms “Moderner Staat – Moderne Verwaltung”. Die Berücksichtigung der Interessen von Frauen und Männern als Beschäftigte der Verwaltung, aber auch als Norm- und Maßnahmenadressantinnen und -adressanten ist eine zentrale Aufgabe einer modernen, bedürfnis- und serviceorientierten Verwaltung und liegt in deren (Eigen-)Interesse, um eine höhere Zufriedenheit der Beschäftigten und passgenauere Antworten auf die Fragen der Bürgerinnen und Bürger zu erreichen.

Die Umsetzung von Gender Mainstreaming ist sicher keine leichte oder kurzfristige Aufgabe, aber sie bedeutet nicht nur für die Verwaltung, sondern für alle Organisationen im gesellschaftlichen Bereich, sei es im Bereich Politik, Wohlfahrt, Gesundheit, Kultur, Bildung etc., eine faszinierende und zeitgemäße Herausforderung. Gender Mainstreaming macht eines ganz deutlich: Bei den Bemühungen um Gleichstellung zwischen Frauen und Männern, beim Abbau von Diskriminierung handelt es sich nicht um eine so genannte Frauenfrage, sondern um eine grundlegende Aufgabe jeder Gesellschaft, die um sozialen Fortschritt und die Einlösung verfassungsrechtlich verbriefter Ansprüche bemüht ist.