Das Ehrenamt oder das freiwillige Engagement in Deutschland monetarisiert sich in bestimmten Engagemenbereichen immer mehr. Wie auch immer man diese Tendenz findet, so ist es doch sinnvoll sich mit den rechtlichen, sozialrechtlichen und versicherungsrechtlichen Folgen auseinander zu setzen. Da kommt die Broschüre des PARITÄTischen gerade recht: „Der Einsatz von Ehrenamtlichen aus arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Sicht“ – herausgegeben vom Paritätischen Wohlfahrtsverband e.V., Berlin 2012
Hier der Link: http://www.der-paritaetische.de/uploads/tx_pdforder/broschuere_ehrenamt_web.pdf
Neue Broschüre zu rechtlichen Fragen der Freiwilligenarbeit erschienen
Deutschland braucht 90.000 Freiwillige — und zwar sofort
Jayne Cravens (www.coyotecommunications.com) veröffentlichte diesen Beitrag zuerst am 27. Dez. 2010 in englischer Sprache auf ihrem Weblog. Für die deutsche Übersetzung danken wir Herrn Stefan Dietz.
Die Tage der Wehrpflicht – und der Zivis – sind vorbei ab 2011. Hunderte Wohlfahrtsorganisationen in ganz Deutschland, die auf die Arbeit der fast 100.000 einberufenen vertraut haben, sehen sich jetzt einer radikalen Verringerung ihrer Arbeitskräfte gegenüber. Viele Organisationen glauben nicht, daß sie ausreichend Freiwillige finden können um die Routinearbeit zu erledigen, die bis jetzt von Zivis erledigt wurde – spülen, Räume reinigen, Mahlzeiten zubereiten, usw.
Kann Deutschland 90.000 Freiwillige rekrutieren um die Zivis zu ersetzen? Ja – aber es verlangt ein fundamentales Umdenken wie deutsche Wohlfahrtsorganisationen die Rolle von Freiwilligen verstehen, und VIEL Übung und Unterstützung um dieses neue Denken auch umzusetzen.
Deutschland versteht bereits den Wert von Freiwilligen in Feuerwehren. Deutschland hat die meisten Freiwilligen Feuerwehrleute pro Einwohner aller Länder weltweit. In einer deutschen Gemeinde mit einer freiwilligen Feuerwehr muß nach 8 Minuten erste wirksame Hilfe durch die Feuerwehr geleistet werden. Freiwillige Feuerwehrleute erhalten die gleiche Ausbildung wie Berufsfeuerwehrleute, es gibt keine zwei Klassen-Ausbildung. Freiwillige bleiben für Jahre, nicht nur für Wochen oder Monate. Und freiwillige Feuerwehrleute bekämpfen Feuer, retten Menschenleben und schützen Sachwerte. Ja, sie machen auch Routinearbeit, aber sie bekämpfen auch Feuer. Ob sie es wissen oder nicht, Deutsche vertrauen bereits jetzt Freiwilligen mit Aufgaben von entscheidender Bedeutung; Deutsche müssen dies auf andere soziale Aufgaben ausdehnen.
Der Anfang: Deutsche Wohlfahrtsorganisationen müssen Freiwillige für mehr als nur Routinearbeiten einsetzen:
- Sie müssen sie genauso ansehen wie Organisationen in den USA, deren Mitarbeiter hauptsächlich Freiwillige sind. Freiwillige übernehmen den Grossteil der Leistungen, die das Amerikanische Rote Kreuz und die `Girl Scouts of the USA` (Girl Guides) anbieten, so übernehmen sie nicht nur die Routinearbeit, sondern auch Führungspositionen. Viele ihrer Freiwilligen bleiben für Jahre und nicht nur für Wochen oder Monate, weil sie viel mehr tun als nur die Routinearbeit. Das Ehrenamt variiert in verschiedenen Kulturen in vielen Aspekten, aber eines bleibt immer gleich, Kultur zu Kultur, Land zu Land: Freiwillige wollen merken, dass ihre Arbeit wichtig ist, nicht nur nett, sondern notwendig.
- Zusätzlich muss ein Ehrenamt mit Hochschulen und Universitäten verbunden werden, wo dies angemessen ist. So, dass Schüler und Studenten praktische Erfahrungen sammeln und anwenden können was sie in Unterricht lernen — “service learning.” Bestimme Ehrenämter sollten den Freiwilligen bei der Hochschule oder Universität angerechnet werden.
Um diese Transformation möglich zu machen, benötigt es intensive und fortgeschrittene Freiwilligen-Management-Schulungen für Wohlfahrtsorganisationen, für Universitäten und für Regierungsbehörden. Es kann auch bedeuten, Angestellte zu bezahlen um die Routinearbeiten zu erledigen, während Positionen mit mehr Verantwortung für Freiwillige reserviert werden – für viele Leute ist dies eine radikal Denkensweise.
Ich habe ein paar Schulungen in Deutschland geleitet und war erstaunt wie weit zurück dieses Land ist im Bezug auf Management von Freiwilligen“? :
- Vertreter von Freiwilligen-Zentren erzählten mir, sie würden keine Online-Datenbank für verfügbare Ehrenämter benutzen, weil “dann wird niemand unsere Freiwilligen Zentrum besuchen.”
- Leute, die mit Freiwilligen in verschiedenen Organisationen gearbeitet haben, erzählten mir, dass sie keine niedergeschriebenen Richtlinien und Handlungsweisen haben, und wenn ich sie fragte wie sie eine Auswahl ihrer Freiwilligen treffen, habe ich wieder und wieder gehört: “Ich merke ob jemand ein guter Freiwilliger sein wird, wenn ich nur mit ihm spreche. Ich habe das im Gefühl.”
- Einwohner mit Migrationshintergrund sind weit unterrepräsentiert in der Belegschaft der meisten Wohlfahrtsorganisationen und gemeinnützigen Organisationen in Deutschland. Man kann z.B. in eine Gemeinde mit deutlichem türkischem Bevölkerungsanteil gehen, aber man wird keinen Freiwilligen dieser Bevölkerungsgruppe im örtlichen Freiwilligen Feuerwehrhaus antreffen. In meinen acht Jahren in Deutschland habe ich nie eine Wohlfahrtsorganisation oder gemeinnützige Organisation, die Freiwillige einbezieht, gefunden, die Anwerbung speziell auf Minderheiten zugeschnitten hatte – ja, ich habe danach gesucht.
Es ist eine herausfordernde Zeit für Deutschland, aber es ist auch eine einzigartige Gelegenheit für Deutschland, um die Einbeziehung von Freiwilligen zu steigern; und um seine Gesellschaft in einer positiven und nachhaltigen Weise zu transformieren. Deutschland könnte zu einem Vorbild in der restlichen EU werden! Aufgepasst Deutschland: Ich bin bereit zu helfen!
Lesen Sie mehr in diesem Bericht auf NPR (nur in Englisch).
Partizipation von Bürgern fördern – aber wie?
Dieser Beitrag schien zuerst im Weblog von Brigitte Reiser.
Die “Nationale Engagementstrategie” der Bundesregierung, die Anfang Oktober verabschiedet wurde, will das Bürgerengagement stärken. Die Engagementstrategie bildet die Grundlage “für eine gemeinsame und aufeinander abgestimmte Engagementförderung aller Ressorts. Ziel ist es, durch geeignete Rahmenbedingungen einen Nährboden zu schaffen, auf dem bürgerschaftliches Engagement in seiner ganzen Vielfalt an Motiven und Ausgestaltungsmöglichkeiten gedeihen kann” (S. 6).
Eine wirklich ausgearbeitete Strategie findet man in dem Beschluß allerdings nicht, was erhebliche Kritik hervorgerufen hat. Vielmehr enthält das Regierungspapier eine Ansammlung von Einzelzielen bezogen auf bestimmte Politikbereiche (Integration/Bildung/Umwelt/Demographischer Wandel/Internationale Zusammenarbeit) und eine Auflistung von unzähligen Modellprojekten zum Thema Bürgerengagement, die die Ressorts jetzt schon fördern. Auf Seite 7 wird jedoch klargestellt, dass die veröffentlichte “Engagementstrategie” nicht als abgeschlossen zu betrachten ist, sondern unter Beteiligung von Bürgern weiterentwickelt werden soll.
Dazu wurde u.a. die Plattform ENGAGEMENTzweinull eingerichtet, auf der Bürger ihre Anmerkungen zum Kabinettsbeschluss und ihre Vorschläge für die Förderung des Bürgerengagements einbringen können. Die öffentliche Online-Konsultation startet am 22. November. Die Ergebnisse der Konsultation werden der Bundesregierung vorgelegt und im Netz veröffentlicht. Ohnehin sind schon die Beratungsergebnisse des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation, in dem Experten aus Staat, Wirtschaft und Bürgergesellschaft vertreten sind, in die Engagementstrategie der Bundesregierung eingeflossen.
Soviel Bürgerbeteiligung ist löblich, ändert aber nichts an der Tatsache, dass das Thema ‘Förderung des Bürgerengagements’ mit der Engagementstrategie des Bundes zu einem “zentralstaatlich gesteuerten Anliegen” geworden ist (Dahme/Wohlfahrt 2010, 146). Der wichtigste Satz im Kabinettsbeschluss lautet: “Bund, Länder und Kommunen sind zentrale Akteure in der
Engagementförderung” (S. 5).
Ich für meinen Teil halte nicht den Staat, sondern den Dritten Sektor für den zentralen Akteur, wenn es darum geht, das Engagement von Bürgern auszuweiten. Es sind die gemeinnützigen Organisationen, in denen – zumeist auf lokaler Ebene – Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung stattfinden. Also ist auch der Dritte Sektor der Dreh-und Angelpunkt für den weiteren Ausbau von Partizipationsmöglichkeiten.
Der Staat kann hier durchaus fördernd wirken – mit finanziellen Mitteln, Gesetzen und Leistungsvereinbarungen, die auf mehr Mitbestimmung von Bürgern drängen. Aber er kann gemeinnützigen Organisationen – und hier speziell der verbandlichen Wohlfahrtspflege – nicht die Aufgabe abnehmen, ihr Verhältnis zur Zivilgesellschaft neu zu bestimmen und ihre Bereitschaft, Bürger als Mitgestalter (und nicht nur als Helfer) einzubeziehen, weiterzuentwickeln.
Was mir auffällt, ist folgendes: sowohl die nationale Engagementstrategie als auch die Beratungsergebnisse des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation blenden die Verantwortung des Dritten Sektors als institutionellem Ort des Bürgerengagements weitgehend aus. Man liest ununterbrochen, wie wichtig das Bürgerengagement ist und dass Bürger sich unbedingt ins Gemeinwesen einbringen sollten. Aber es wird nicht thematisiert, welche Verantwortung dem Dritten Sektor dafür zukommt, dass Bürger sich nicht engagieren oder ihren Einsatz aufgeben, weil sie mit den starren Strukturen in verbandlichen Einrichtungen nicht zurecht kommen oder weil sie nach und nach merken, dass an ihren inhaltlichen Anregungen in dem professionellen Umfeld niemand interessiert ist und sie nur als Helfer gebraucht werden, aber nicht als Mitbestimmer und -entscheider.
Die Responsivität des Dritten Sektors, seine Öffnung nach außen hin, seine stärkere Vernetzung mit der Zivilgesellschaft und seine Bereitschaft zur Ausweitung von Mitbestimmungsmöglichkeiten – das sind die zentralen Anknüpfungspunkte, wenn man das Bürgerengagement fördern will.
In einem Beitrag für die Stiftung Mitarbeit habe ich auf die Bedeutung der institutionellen Strukturen für das Bürgerengagement hingewiesen:
“Wenn es um die Partizipation in gesellschaftlichen Organisationen geht, kann man die bürgerschaftliche Seite nicht ohne die institutionelle betrachten. Beide Seiten gehören zwingend zueinander und befinden sich in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Die Beteiligung von Bürgern am Organisationshandeln setzt voraus, dass Institutionen Partizipationsräume schaffen und sich gegenüber Bürgervorschlägen responsiv verhalten (…) Umgekehrt benötigt eine Organisation, die sich stärker zur Zivilgesellschaft hin öffnet, Bürger, die ihre Kompetenzen und ihr Wissen einbringen können und wollen. Erfolgreiche Bürgerbeteiligung in Organisationen hängt demnach auch von den Partizipationsressourcen der Bürgerschaft und nicht nur von den institutionellen Beteiligungsangeboten ab.
Wir haben es also mit der Gleichung „Bürgerbeteiligung = Responsivität von Organisationen“ zu tun und es geht darum, auf beiden Seiten dieser Gleichung zu arbeiten, wenn das Bürgerengagement und damit die Demokratisierung unserer Gesellschaft weiter vorangetrieben werden soll (..)” (Reiser 2010, 1).
Man kann das Bürgerengagement nicht zentralstaatlich verordnen und erfolgreich fördern, man kann nur Strukturen schaffen – vor allen Dingen lokal – die Bürger als Mitgestalter und Partner ernst nehmen. Und hier müssen gemeinnützige Organisationen die Hauptverantwortung übernehmen. Es macht keinen Sinn, die Verantwortung von sich weg und dem Staat zu zu schieben, weil eine wirkliche Öffnung für bürgerschaftliche Mitarbeit zu schmerzhaften Veränderungen speziell im verbandlichen Nonprofit-Bereich führen würde. Bürgerbeteiligung kostet ihren Preis, – man erhält sie nicht ohne eine Demokratisierung verbandlicher und professioneller Entscheidungsstrukturen.
Meines Erachtens müssen vier Aufgabenfelder im Mittelpunkt stehen, wenn die Mitarbeit und die Partizipation von Bürgern gefördert werden soll:
- die Schaffung von mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten im Dritten Sektor. Dies bedeutet, dass sich die gemeinnützigen Dienstleister von ihrer professionellen Dominanz verabschieden müssen. Die Zukunft gehört Koproduktionsmodellen, bei denen Bürger und Sozialeinrichtungen gleichberechtigt miteinander soziale Dienstleistungen konzipieren und erbringen.
- die Förderung der Beteiligungskompetenzen von Bürgern und Communities. Es reicht nicht aus, im Dritten Sektor jeweils organisationsintern das freiwillige Engagement zu fördern. Notwendig ist der Blick auf das Gemeinwesen bzw. auf die unterschiedlichen Communities in den Gemeinden, die gestärkt werden müssen. Der einzelne Bürger wird durch eine vielfältige und handlungsstarke Zivilgesellschaft in seinen individuellen Partizipationsbemühungen unterstützt.
- der Aufbau von Netzwerken auf kommunaler Ebene, die Bürger, Dritt-Sektor-Organisationen, staatliche und wirtschaftliche Akteure umfassen. Wo viele Communities untereinander gut vernetzt sind, existiert mehr Bürgerbeteiligung als in Gemeinden ohne entsprechende Netzwerkstrukturen. Wichtig ist nicht nur die Vernetzung an sich, sondern insbesondere der Ressourcenaustausch der Akteure untereinander und das Handeln der Beteiligten.
- die Einbeziehung des Internets in die alltägliche Arbeit von gemeinnützigen Organisationen. Es bietet die Infrastruktur für Vernetzung, Kooperation und kollektive Aktionen. Um niemanden auszuschließen sollte die digitale Inklusion ein wichtiges Arbeitsfeld für alle sein, die Leistungen mit Bürgern und für Bürger erbringen.
Wer an diesen vier Ideen im Detail interessiert ist, kann hier meinen gesamten Aufsatz lesen, der im Wegweiser Bürgergesellschaft 19/2010 erschien. Der Beitrag wird in einem Band der Stiftung Mitarbeit über die Zukunft der Bürgerbeteiligung erscheinen, der die Vorträge der gleichnamigen Tagung, die im September stattfand, enthält.