Freiwilligenmanagement – führen ohne Macht

Christoph Härter ist Berater, Supervisor und Coach von BENEVOL in St. Gallen. In seinem Beitrag beschäftigt er sich mit den Herausforderungen modernen Freiwilligenmanagements. Der Beitrag wurde zuerst bei zürich freiwillig (2006) und kürzlich auch bei BENEVOL veröffentlicht. Wir danken Herrn Härter für die freundliche Genemigung, diesen lesenswerten Beitrag auch hier einstellen zu dürfen. Vielen Dank.

Im Zuge der Professionalisierung in Non-Profit-Organisationen ist die Führung der Freiwilligenarbeit zu einer anspruchvollen Managementaufgabe geworden. Sie muss den Spagat zwischen den Ansprüchen der Organisation und den Begrenzungen der Freiwilligkeit bewältigen: Die hohe Kunst der Führung ohne Macht.

„Neue“ Freiwillige

Die Voraussetzungen der Freiwilligenarbeit haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Immer mehr Menschen, die heute ein freiwilliges Engagement eingehen verstehen sich als gleichwertige Partner, die über eine bestimmte Zeit unentgeltlich eine Leistung erbringen. Sie machen das nicht nur aus Nächstenliebe, sondern weil sie sich von der freiwilligen Tätigkeit auch einen persönlichen Gewinn versprechen. Die einen finden dadurch soziale Kontakte, andere einen Ort, wo sie ihr Fachwissen oder ihre Lebenserfahrung einbringen oder einem persönlichen Anliegen Gewicht verschaffen können. Geprägt von einer Arbeitswelt, die klare Ziele und Rahmenbedingungen fordert, erwarten diese Freiwilligen auch ein gutes Management für ihr Arbeitsfeld. Dazu gehören Auftragsklärung, Planung der Arbeit und Unterstützung bei der Umsetzung, Weiterbildung, Information, unkomplizierte Spesenabrechnungen und das Einstehen gegenüber der auftraggebenden Organisation.

Ansprüche der Organisationen

Auf der andern Seite steht die Organisation, Kirchgemeinde oder Institution, welche Freiwillige zur Umsetzung ihrer Ziele einsetzt. Im Zuge der Professionalisierung und systematischen Qualitätssicherung in Non-Profit-Organisationen werden an das Freiwilligenmanagement immer höhere Anforderungen gestellt. An vielen Orten wird konkret mit der Leistung der Freiwilligen gerechnet, qualitativ und quantitativ. Damit ist die Freiwilligenarbeit Teil der Unternehmensstrategie und deshalb eingebunden in die wirtschaftlichen und führungstechnischen Ansprüche des Managements.

Wenig strukturelle Macht

Die Erwartungen an das Freiwilligenmanagement sind also von Seiten der Freiwilligen und der Auftraggeber her hoch. Dem gegenüber steht ein ganzes Stück Machtlosigkeit. Die Organisationen betonen zwar die grosse Bedeutung der Freiwilligenarbeit, ohne die die Unternehmensziele nicht erreicht werden könnten. Dennoch – wenn es um Entscheide, Ressourcen und inhaltliche Mitbestimmung geht, steht doch die professionelle Erwerbsarbeit im Vordergrund. Die Freiwilligenarbeit wird in diesem Moment wieder zum ergänzenden Hilfsdienst. Dass Unterschiede zwischen bezahlter und nicht bezahlter Arbeit gemacht werden müssen ist zwar in vielen Belangen richtig und nachvollziehbar. Für die Verantwortlichen im Freiwilligenmanagement bedeutet dies jedoch einen Spagat zwischen Anspruch und Möglichkeiten.

Führen ohne Vertrag

Doch auch gegenüber den Freiwilligen besteht eine Machtlosigkeit. Auch bei klaren Einsatzvereinbarungen und Abmachungen bleibt eine viel grössere Unverbindlichkeit als bei einer arbeitsrechtlichen Anstellung. Selbst vereinbarte „Kündigungsfristen“ sind letztlich Absichtserklärungen, die rechtlich nicht eingefordert werden können. Die zeitliche Begrenzung der Freiwilligeneinsätze schränkt die Führungs- und Personalentwicklungsmöglichkeiten massiv ein. Die Leute sind nicht so verfügbar wie Angestellte, weil sie viel weniger Zeit in der Organisation verbringen als diese. Das wirkt sich beispielsweise bei der Qualitätssicherung aus. Es ist eine Kunst, für qualifizierte Freiwilligenarbeit eine zeitlich und fachlich angemessene Weiterbildung zu installieren. Auch bei Konfliktsituationen ist es schwieriger, wenn die Mitarbeitenden wenig da sind und ihren Dienst auch noch freiwillig tun.

Macht-los führen als Herausforderung

Freiwilligenmanagement ist also eine äusserst vielschichtige, anspruchsvolle Aufgabe. Es beinhaltet alle Aspekte des NPO-Managements, muss jedoch unter anderen, nämlich macht-loseren Voraussetzungen geleistet werden als im Zusammenhang mit Angestellten.

Dies macht die Aufgabe für die einen unmöglich, für die andern besonders herausfordernd. Denn wer ohne strukturelle Macht führen soll, muss auf andere Werte bauen. Überzeugungsarbeit, Empowerment, Partizipation und vertrauensbildende Massnahmen sind einige davon. Gegenüber der Organisation kann die Position auch dazu genutzt werden, die Führung an ihre Ideale, die oft im Leitbild dargestellt werden, zu erinnern und sie darauf zu verpflichten.

Unterstützung für Führungskräfte

Diese herausfordernde Aufgabe ruft nach Unterstützung. Es ist wichtig, dass den Führungskräften entsprechende Weiterbildung angeboten wird. Darüber hinaus sind Austauschmöglichkeiten und Begleitung wichtig. Wertvolle Möglichkeiten sind Angebote von Gruppen-Supervision oder Coaching für Führungspersonen der Freiwilligenarbeit, wie sie Benevol anbietet. Hier können konkrete Herausforderungen der Führungsarbeit bearbeitet und Lösungswege gesucht werden. Auch Intervisionsgruppen, Fachberatung und Materialbörsen sind hilfreiche Möglichkeiten zur Unterstützung.

Mit einem klaren Profil und innerer Stärke kann auch ohne strukturelle Macht erfolgreich geführt werden.